Das schwarze Dings

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Das schwarze Dings

 

– eine wirklich makabre Geschichte

 

 

 

 

 

 

 

ext. Bild

 

 

Um ein Haar wäre ich auf sehr tragische Weise vom

Leben zum Tode befördert worden.

Und das kam so:

Der Duft aus dem Laden meines Lieblingsbäckers

zog mich magisch an. Ich konnte nicht anders,

musste rein in den Laden, kaufte mir ein Roggenmischbrot,

eilte nach Hause, zog eilig meinen Mantel

aus, wusch mir flüchtig die Hände im Bad, ging in

die Küche, holte das Brotmesser aus dem Besteckfach

und schnitt gierig zwei Scheiben von dem köstlich

duftenden Roggenmischbrot ab.

Plötzlich erblickte ich es! Das Dings. In der Mitte des

Brotes. Fingerdick. Schwarz und etwas eingedreht.

„Was ist denn das?“, dachte ich erschrocken und

steckte neugierig meinen rechten Zeigefinger in die

schwarze Masse. Zäh und klebrig war sie. Und auch

irgendwie bedrohlich. Also, schnell raus mit dem

Finger.

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Aber doch auch geheimnisvoll. Also, noch mal rein

mit dem Finger. Vorsichtig erst, dann mutiger. Schon

bald war mir, als würde mein Finger immer tiefer

gezogen.

Ach, ja. Die Fantasie. Nein, sie passte hier nicht her.

In die nüchterne Küche. Zu dem duftenden Brot.

Schnell weg damit. Und raus mit dem Finger aus

dem schwarzen, klebrigen Loch.

Kurz entschlossen schnitt ich das Dings aus dem

Brot, warf es angeekelt in den Mülleimer, widmete

mich meinen abgeschnittenen Scheiben, strich

etwas vegetarische Paste darauf, aß genussvoll.

Doch nach einigen Minuten wurde mir speiübel,

schwindlig, meine Beine zitterten, der Puls raste,

mein Magen schwoll zusehends, mein Darm

rumorte, mir wurde schlecht und schlechter.

Am liebsten hätte ich mich hingelegt. Doch ich nahm

mich zusammen, schlich auf wackligen Beinen ins

Bad, schaute in den Spiegel. Oh, Schreck. Mein

Gesicht war puterrot. Meine Augen groß, starr,

ängstlich aufgerissen.

„Bin ich das?“ Ich war schockiert. „Wie schnell man

sich doch verändert!“

Ich geriet in Panik.

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‚Das Brot‘, dachte ich entsetzt, ‚das Brot! Es ist vergiftet!

Das Dings! Das schwarze Dings! Ich bin vergiftet!‘

Die Stiche im Magen wurden immer heftiger, auch

die im Darm; erschöpft setzte ich mich auf die Toilette,

kotete und kotete und hatte gleichzeitig das

dringende Bedürfnis, mich übergeben zu müssen.

Ja, zu kotzen, auf gut Deutsch. Also erhob ich

mich mühsam, kniete mich zitternd vor das Toilettenbecken,

steckte einen Finger in den Hals und

kotzte raus, was raus zu kotzen war. Schleimige,

rote Paste, die aussah wie Blut, in dem hastig runter

geschlungene, unverdaute Brotbrocken schwammen.

Echt ekelig.

Mann, oh, Mann! So eine Menge hatte ich doch gar

nicht gegessen!

Nach dieser Prozedur legte ich mich völlig geschwächt

mit einem Heizkissen auf dem Bauch auf

die Couch, griff zum Telefon, rief meine Freundin an.

„Sauerei“, sagte sie, „das war bestimmt Schmiere.

Und die ist hochgiftig. Bei der heutigen, maschinellen

Herstellung ist das schon möglich.“

„Schit, Scheiße, Drecksbande“, schimpfte ich. „Da

back ich mein Brot nächstens lieber wieder selbst.

Ein Glück, dass alle Organe meines Körpers sofort

Alarm geschlagen haben.“

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Das Brot und das herausgeschnittene schwarze

Dings brachte ich natürlich zum Bäcker.

„Es tut mir leid“, sagte die Verkäuferin. „Ich werde es

melden. Ihr Geld bekommen Sie selbstverständlich

zurück.“

„Bist du dumm“, sagte meine Freundin. „Wärest du

man lieber zum Arzt gegangen mit dem schwarzen

Dings. Du hättest die Bäckerei, oder sonst wen

auch immer, verklagen und sogar Schmerzensgeld

verlangen können.“

Aber danach stand mir nicht der Sinn. Ich schien

ja auch wieder völlig in Ordnung zu sein. Aber ich

täuschte mich gewaltig.

Am dritten Tag nach diesem schrecklichen Ereignis

wurde mir gar seltsam zumute und ich entschloss

mich nun doch, einen Arzt aufzusuchen.

„Ja“, meinte Doktor Lambert nach gründlicher Untersuchung,

„ich kann nichts Auffälliges finden. Aber

zu Ihrer Beruhigung werde ich Sie in die Klinik transportieren

lassen. Ich telefoniere gleich mal nach

einem Krankenwagen.“

*

„Ich werde mein Möglichstes tun, um Sie wieder

ganz herzustellen“, versprach der Oberarzt in der

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Klinik. „Ich verabreiche Ihnen jetzt ein leichtes Narkosemittel.

Sie werden nichts merken von den nötigen

Untersuchungen.“

Als ich am vierten Tag aus meinem Krankenbett stieg

und an mir herunter sah, erschrak ich zutiefst. Nein!

So etwas konnte es nicht geben. Es war unmöglich!

Bestimmt träumte ich im Wachen. Oder stand noch

immer unter Narkose.

Aber ich träumte nicht. Und unter Narkose stand ich

auch nicht mehr. Ich war hellwach. Alles war bittere

Realität.

Das Krankenzimmer, das kein normales Krankenzimmer

war, sondern ein mit silbernem Isolierpapier

beklebter Kasten.

Das Bett, das eine stabile Pritsche war.

Das silberglänzende Nachtschränkchen, auf dem

eine Flasche Wasser stand.

Der kleine silberne Spiegel an der silbernen Wand

der Pritsche gegenüber.

Die silberne Duschkabine.

Voller Entsetzen betrachte ich mich ausgiebig.

Mein Fleisch hatte eine seltsam rosige Färbung.

Panisch tastete ich über meinen aufgequollenen

Bauch, der sich dramatisch vorwölbte und von

dicken Borsten überwuchert war. Meine Schenkel

sahen aus wie Keulen.

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„Nein!“, schrie ich wie von Sinnen. „Nein!“

Ich sprang auf, lief zum Spiegel, um meine Rückseite

in Augenschein zu nehmen. Ich tastete nach

den zwei feisten, prallen Backen, die wie ein gut

gemästeter Schinken aussahen! Und am oberen

Rand der beiden fülligen Backen ragte ein rosa

Ringelschwänzchen heraus. Panisch wackelte ich,

rennen konnte ich ja nicht, zu einem anderen silbernen

Spiegel vor der Duschkabine, riskierte mutig ein

Auge und starrte in das Gesicht eines Schweins.

„Hilfe!“, schrie ich wie von Sinnen. „Hilllfeee!“, und

drückte die Notklingel auf der silberglänzenden Pritsche.

„Uns ist da ein bedauerliches Missgeschick passiert“,

sagte ein Mann im grünen Kittel, der mich gewaltsam

auf die Pritsche drückte und fixierte. „Versehentlich

haben wir Ihnen eine falsche Gensequenz

eingebaut. Die schwarze Substanz im Brot hat Ihre

Leber zersetzt. So mussten wir Ihnen die Leber

eines Schweins transplantieren. Wir haben schnell

gehandelt, um Ihr Leben zu retten.“

„Das darf nicht wahr sein, das darf nicht wahr sein“,

wimmerte ich fassungslos. „Ich war doch kerngesund.“

„Nein“, mischte sich eine Krankenschwester ein, die

unbemerkt in die Isolierkabine gekommen war, „Ihre

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vergiftete Leber hätte Sie früher oder später getötet.“

„Ihr Körper wird jetzt langsam die Gestalt eines

Schweins annehmen“, klärte mich der Doktor auf,

„die menschlichen Wachstumshormone, die das

Tier vorher bekommen hatte, äh, Sie wissen, dass

Schweine mit menschlichen Wachstumshormonen

gemästet werden, ja?“

Ich stand unter Dauerschock und nickte teilnahmslos.

„Antibiotika“, sagte ich dann leise.

„Genau“, freute sich der Doktor, „nur bei Ihnen beschleunigt

sich das noch einmal aus uns nicht bekannten

Gründen. Ihr Körper setzt rasend schnell

Muskelmasse und Fett an.“ Freudig umrundete

er mich und musterte meinen Körper interessiert.

„Schon bald müssen wir Sie umklassifizieren“, fuhr

er begeistert fort, „Ihr Genpool besteht dann mehrheitlich

aus Schweinegenen. Sie verstehen, Sie sind

dann bei allem Wohlwollen nicht mehr als Mensch

zu betrachten. Aber Sie werden natürlich hinterher

gründlich untersucht, um den bedauerlichen Fehler

zu finden.“

„Wie hinterher?“, stotterte ich.

„Nun wir fühlen uns verpflichtet, den Fehler aufzuklären,

damit das in Zukunft nicht mehr passiert.

Ich denke, dass wir in Ihrer Hirn DNA die falsche

Sequenz isolieren können. Da Sie zu diesem Zeit48

punkt nicht mehr als Mensch gelten, kommen natürlich

auch nicht mehr die Menschenrechte für

Sie infrage. Wir werden also Ihr Gehirn entnehmen

und es gründlich analysieren. In den Dünnschnitten

werden wir das Geheimnis schon ergründen.“ Er trat

wieder nah an die Pritsche, drückte seinen Finger in

meinen Bauchspeck und lachte. „Dann werden wir

das Angenehme mit dem Nützlichen verbinden.“

Der Doktor und die Schwester sahen mich lächelnd

an.

„Sie verstehen?“, sagten sie wie aus einem Mund.

 

 



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