Die gefrustete Frau

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              Die gefrustete Frau

                                           

 

 

 

 

 

 

 

 

 

"Bis bald, Schatz." Klaus drückt mir einen Routinekuss auf die Wange und verschwindet. Ich bin echt sauer. Er ist gegangen. Zum Tennis. Wie jeden Donnerstag. Ich sitze hier, in dieser Bude und werde vor meinem Computer, den ich ja über alles liebe, dick und dicker. Es ist ein Graus. Ich koche. Ich wasche. Ich putze. Ich arbeite wie eine Blöde im Garten, bis mir der Rücken schmerzt. Ich warte. Worauf eigentlich. Seit zehn Jahren bin ich immer da, wenn Er von der Arbeit kommt. Meistens habe ich gekocht, so dass wir sofort essen können. Wie oft habe ich mir geschworen, nicht mehr zu kochen. Ihm würde es nichts ausmachen. Sagt er. Mir auch nicht, denke ich und halte tatsächlich zwei oder drei Tage durch und koche nicht. Doch schon bald habe ich meinen lobenswerten Vorsatz vergessen und koche wieder. Es ist ja auch so eine Art Kreativität. Man braucht Lust und Liebe dazu. Aber das Besondere ist der Kick der Befriedigung. Ja. Seit zehn Jahren ist mir dieser Kick das Kochen wert. Vor den zehn Jahren habe ich mal ein Jahr nicht gekocht. Das war nach meinem Ex. Da ist mir das Essen vergangen. Buchstäblich im Halse steckengeblieben und demzufolge natürlich die Lust am Kochen. Da hatte ich nämlich tierischen Liebeskummer und rucki zucki fünfzehn Kilo weniger! War das herrlich!

Ach, Klaus.

Mir kommen ein paar wütende Tränen. Der macht immer, was er will. Ich nie. Ich könnte ja auch. Aber was will ich eigentlich. Ich weiß es nicht. Ist doch Mist, wenn man keine richtige Arbeit hat. Ich könnte ja arbeiten, wenn ich wollte. Angebote gibt es ja. Allerdings entsprechen sie bei weitem nicht meinen Fähigkeiten. Jeden Mist mache ich ja auch nicht. Dafür bin ich mir einfach zu schade. Es geht ja auch so. Mit ein bissel Schwarzarbeit. Aber das sag ich keinem. Wenn nur das ewige Warten nicht wäre.

Blöde Gedanken. Weg damit. Geh ich halt ins Kino. Werde mich mal anziehen. Im Schlafzimmer öffne ich meinen Kleiderschrank. Hm, schön gefüllt. Das rote Kostümchen sieht doch sehr schnuckelig aus. Her damit. Oh, verdammmich. Der Reißverschluss geht nicht zu. Die Jacke spannt über dem Busen. Weg damit. Ziehe ich eben das Kleid mit dem romantischen Blumendesign an. Verdammt. Das passt auch nicht. So geht das weiter. Nichts passt richtig. Die Sachen liegen verstreut auf dem Bett. Frustriert schlage ich die Kleiderschranktür zu. Ich kann mich nicht mehr sehen. Wie kann man nur so dick werden. Ihn stört das nicht.

"Du bist doch nicht dick", sagt er, "du hast schöne frauliche Formen", und grabscht danach. Ich haue ihm auf die Finger und widerspreche: "Doch. Ich bin dick. Und nur deinetwegen. Weil ich immer kochen muss."

"Meinetwegen brauchst du nicht zu kochen", sagt er.

 Das Gespräch ist beendet. So oder ähnlich wiederholt sich das immer in den Phasen meines Aufbegehrens.

Ich habe mich für meine alten Jeans entschieden. Darüber den Jeansmantel. Darunter einen engen sonnengelben Pulli.

In der Brückenstraße fährt mich ein Radfahrer fast über den Haufen.

"Sorry", sagt der, lächelt mich an und fährt weiter.

Müssen die immer auf den Bürgersteigen fahren. Bin ich ja auch, als ich mein Rad noch hatte. Ein bei Ebay gekauftes. Dazu einen breiten Sattel, Handschuhe, Luftpumpe, Trinkflasche. Aber was soll's. Einmal bin ich damit gefahren. Zu meiner Freundin. Durch die völlig chaotische Stadt. Meine Nerven lagen blank. Das Rad steht noch heute bei ihr. Ich will es nicht.

Berlin ist die Stadt der Radfahrer. Wo ich geh und steh, wohin ich blicke, nur Radfahrer. Radfahrer. Am schlimmsten ist es am Abend. Wenn es dunkel ist. Da fahren die ohne Licht. Man sieht die überhaupt nicht. Und was noch schlimmer ist: Man hört sie auch nicht. Die haben nämlich keine Klingel. Wenn ich mit Ihm so meine abendlichen Spaziergänge mache, können wir nur froh sein, noch nicht angefahren worden zu sein. Aber einen Schreck hab ich schon oft genug bekommen, wenn plötzlich so ein Kerl oder eine Frau aus dem Nichts auf Zentimetertuchfühlung an mir vorbeirauschte. Ich hätte nur einen Schritt zur Seite gehen müssen, und die hätten mir glatt das Rad in die Seite oder den Hintern gerammt.  

Jetzt kommt so ein Radfahrer und sagt:

 "Hi, so allein."

"Klar, siehst du doch", motze ich zurück.  

 Vor dem vietnamesischen Blumengeschäft stehen wieder die schönsten Blumen in großen Töpfen, mein Herz schlägt schneller.

"Wie viel kosten die Dahlien?" 

 "6€", sagt der kleine Verkäufer. "Die Rosen 7€."

"Danke", sage ich." Ich komme morgen wieder. Heute muss ich noch woanders hin."    

 Vor den Räumen der Weissenseer Kunstausstellung steht ein Lieferauto. Einige Männer entladen Skulpturen und riesige Bilder, sie schleppen sie durch die offene Tür. Ich drücke mir die Nase an dem Schaufenster platt. Ganz rechts liegt eine ganz nackte Frau auf Sägespänen. Man, hat die Formen. Auf ihren rechten, angewinkelten Arm gestützt, das Kinn hochgereckt, die dicken Brüste und die drei Bauchfalten etwas zur Seite hängend, scheint sie zufrieden mit sich und der Welt und den schönen, sonnigen Tag zu genießen. Ihre Schamlippen sind etwas wülstig, die Oberschenkel kurz und stramm, und der Strich ihrer Muschi ist schief. Sieht aus wie ein Brötchen, denke ich und zwinkere ihr zu.  

Ich laufe an der Arbeitsstelle meines Ex vorbei. Hm, der wird mich wohl vergessen haben. Sein Auto steht schon lange nicht mehr vor Kaisers. Wie schnell doch die Jahre vergehen. Was ist schon Zeit. Alles relativ. Nach Einstein.

Im International wird nur ein einziger Film gespielt. Zero. Irgendwas Japanisches. Ästhetische Kämpfe. So ein Quatsch. Nichts für mich. Ich laufe die Karl Marx Allee lang, zum Alex, ins CUBIX. In dem sind bestimmt zehn Kinos. Da hab ich neulich Herr der Ringe gesehen. Nun warte ich auf den dritten Teil.

Mal sehen, was die im New Yorker haben. Hab ja noch Zeit. Ich geh da gern einkaufen. Also spazier ich rein, nehme einige ganz nette Blusen mit ihren Bügeln und den runden Sicherungsdingern von der Stange und ziehe den Garderobenvorhang zurück. Natürlich auch wieder zu. Und nun packt mich wieder das wütende Gefühl. Nur die L passt. Das ist doch zum Heulen. Vor einigen Jahren trug ich noch die S Größe. Doch was soll's. Lang ist's her. Ich entscheide mich für eine niedliche, weiße, sportliche Bluse aus so einem modernen, leicht geknitterten, Baumwollstoff, bezahle sie natürlich, an der Kasse, gegenüber dem Eingang.    

Den Beutel mit der neuen Bluse hin und herschwenkend, laufe ich dann zum UFA- PALAST ALEXANDERPLATZ. Alle Kassen sind leer. Ich stelle mich trotzdem hin und warte. Endlich erscheint eine junge, dickliche Kartenverkäuferin.

"Was gibt’s denn heute so?" frage ich.

Ich bin viel zu zu faul, mich selbst zu orientieren. Steht doch überall an den Wänden. Auch die Uhrzeit.

"Also, da gibt es Zero…." Die Verkäuferin ist wirklich sehr freundlich.

"Den will ich nicht", unterbreche ich sie. "Was noch?"

"Dann noch einen Überraschungsfilm.."

"Und wie heißt der?"

"Das erfahren die Zuschauer erst, wenn der Vorhang aufgeht. Sonst wäre es ja keine Überraschung."

"Stimmt", stimme ich ihr bei. "Ich will keine Überraschung."

"Dann gibt es noch Matrix Reloaded…"

"Den nehme ich", sage ich und bezahle die 7€. Ganz schön teuer. Aber was soll's. Das Kino ist neu. Von dem Film hat Susi so geschwärmt. "Den musst du sehen", hatte sie gesagt. "Echt der Hammer."

Nun bin ich aber mal gespannt. Ich habe noch 20 Minuten Zeit. Und Durst. Pullern muss ich auch. Ich gehe in die angrenzende Gaststätte und schaue mich um. Ein junger Kellner in rotweißer Tracht fragt: "Suchen Sie jemand?"

"Ja, die Toiletten."

"Rechts. Ganz hinten."

 Ich gehe nach rechts, ganz nach hinten. Da sind sie. Ich entleere mich. Dann gehe ich nach draußen. Fast alle Tische sind nicht besetzt. Nur die, genau neben der Gaststätte. Ich nehme einen direkt an der Straße. Da sitzt überhaupt niemand. Die kleinen runden sind echt niedlich, die beiden Stühle davor auch. Ich kann direkt auf den Fernsehturm blicken. Es ist noch sehr warm. Doch gleich wird die Sonne untergehen. Ich hole meine Eintrittskarte aus meiner schwarzen Handtasche, um zu sehen, auf welchen Platz ich mich setzen soll. Reihe 8, Platz 5. lese ich.

"Darf ich Ihnen was bringen."

Meine Güte. Der junge Kellner von vorhin. Hat der mich erschreckt.

"Ja, ein Mineralwasser", sage ich.

"Ein normales?"

"Ja. Ein normales."

"Ein großes oder ein kleines?"

"Ein kleines, bitte."

"Mit oder ohne Zitrone?"

"Mit."

"Mit oder ohne Eis?"

"Mit."

 Ein junges Mädchen bringt mir ein kleines Mineralwasser mit Eiswürfeln und Zitrone.              

 "Ich möchte gleich zahlen."

"Das macht mein Kollege."

 Der Kollege kommt und ich bezahle 2€ 30 Cent. Vor dem Wuchereuro habe ich zwei gute deutsche Mark bezahlt.

Es ist kurz vor zwanzig Uhr. Ich will heute mal die Werbung sehen. An der Sperre entwertet ein junges Mädchen meine Karte.

 "Eine Treppe", sagt sie. "Kino 5."

 Im Kino 5 läuft schon die Werbung. Ein Pärchen knutscht wie wild. Der Mann schüttelt sich.

"Rauchen kann tödlich sein", sagt er.

 Die Frau lacht dümmlich.

 

Ich setze mich in die letzte Reihe. Da sitzt niemand. Die Leute trudeln einzeln oder Pärchenweise ein. Ich ziehe meine Pantoletten aus und die Beine unter den Po. Zwei Männer kommen und fixieren meine Reihe. Der kleinere, jüngere, setzt sich drei Plätze links neben mich und zieht den älteren, sehr großen, dünnen, auf den Platz neben ihm. Der Man stellt eine große, schwarze, eckige Tasche auf den Boden. Sie scheint ziemlich schwer zu sein. Nach einer Weile wird der kleinere Mann unruhig und verlässt das Kino. Einige Minuten vergehen. Da geht auch der große. Die Tasche lässt er stehen. Also kommt er wieder. Ein älteres Pärchen kommt und setzt sich auf die verlassenen Plätze. Es ist ziemlich unruhig. Die Werbung interessiert mich doch nicht. Da kommt der lange, dünne Mann wieder und stolpert über meine Schuhe.

"Pardon", sagt er.

Nach kurzer Zeit verlässt er wieder den Saal. Als er zurückkommt, spricht er mich an:

"War der junge Typ in der Zwischenzeit hier?"

Er wirkt sehr zerstreut und unruhig.

"Nein", sage ich. "War er nicht."

 Er geht wieder und nimmt seine Tasche mit. Wahrscheinlich kommt er nicht wieder. Nach einiger Zeit trifft der junge Typ ein. Unruhig geht er durch die Reihen und sucht alle Plätze ab. Dann verlässt er den Saal. Das wiederholt sich einige Male. Als er zum vierten Mal kommt, sage ich:

"Suchst du den älteren Typ?"

"Ja. Wo ist der hin?"

"Weiß ich doch nicht. Der hat auf dich gewartet und ist dann gegangen."

"Danke", sagt der Junge. "Ich brauch was zu essen."

Er geht.

Ich versuche, mich auf den Film zu konzentrieren, der schon eine Weile läuft, und bekomme nichts mit. Was sollen die überdimensionalen Maschinen, die durch die Luft sausen, die Menschen, die in wilden Sexorgien versinken? Als der Held zu dem Orakel geht, das eine Frau und kein Mensch ist, reicht es mir. Ich verlasse den fluchtartig den unwirtlichen Kinoraum.   

Vor der Tür wartet der Junge. Er ist sehr dünn und bleich und starrt mich aus großen, glänzenden Augen wie irr an. Er wartet.

Bestimmt steht der immer noch dort.

Der Kellner springt auch noch hin und her. Seltsamerweise sind jetzt mehr Besucher hier als vor eineinhalb Stunden. Ich laufe nach Hause. Klaus steht in der Küche und beißt seelenruhig in meine Semmel.

 "Das ist meine", sage ich, noch halb in der Wohnungstür. "Ich hab auch Hunger."

 Er verschluckt sich fast, hält mir die angebissene Semmel entgegen und sagt:

 "Hier, kannst du haben. Konnte ich ja nicht wissen."

"Jetzt will ich sie auch nicht mehr", schmolle ich, "esse ich eben nichts. Kann auch nicht schaden. Bin sowieso zu dick."

"Wo warst du eigentlich?" Klaus schaut vorwurfsvoll auf mich herab. "Ich war schon so früh da. Ich hatte doch keinen Haustürschlüssel mit und musste bei Gisela klingeln. Die hat vielleicht ein Theater gemacht."

"Armer Schatz", sage ich. "Ich werde uns was Schönes kochen."

 

 

 

 

 

 

 

 

 



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