Die KicherTanten

 

 

Die KicherTanten

  

  

 

 

Die Wohnungsklingel!
Mit einem Satz springt Gret aus dem Bett, hastig wirft sie sich ihren Morgenmantel über und eilt zur Tür.
 "Würden Sie bitte ein Päckchen für Herrn Freund abnehmen?", fragt der Postausfahrer und hält statt seines sonstigen Kugelschreibers so eine seltsame Neuerung in der Hand.
"Geht es schneller mit dem da?" Gret schenkt dem jungen Mann ein kokettes Lächeln, nimmt das Päckchen und legt es auf die alte Kommode im Korridor.
"Ach, wo", erwidert Mario freundlich. "Nur bei Firmen. Wenn ich hintereinander wegtippen kann."
"Sieht aus wie ein großes Handy." Gret starrt noch immer verwundert auf das Gerät. "Was die Technik so alles kann", lächelt sie schelmisch.
"Und ob", stimmt Mario ihr bei. "Hier", er führt einen Stift zu dem Display, "müssen Sie unterschreiben. So quer rüber. Ganz einfach. Den Zettel steck ich dann bei Freund in den Kasten."
 Gret unterschreibt und Mario verabschiedet sich mit einem euphorischen:

 "Bis bald dann."
Gret hat nicht mehr viel Zeit. Sie muss pünktlich im Büro sein, und nach Feierabend will sie mit Manu und Andrea zur Gymnastik.
Kurz vor achtzehn Uhr erscheint Andrea wie immer hübsch und gestylt, als wolle sie zur Disko.
 "Toll siehst du aus", sagt Gret. "Ich koch schon mal Kaffee. Setz dich."
 Doch Andrea folgt ihr in die Küche.

 "Ich verstehe nicht", empört sie sich, "wie Manu so dumm sein kann und ihre Wohnung aufgeben will. Und das wegen dieses Typen? Da hat sie doch gar nichts mehr. Da liefert sie sich doch total aus. Und wenn es schief geht, steht sie ohne alles da. Und mit ihrer Freiheit ist auch Schluss. Da muss sie machen, was der will. Ich verstehe das nicht!"
"Eine Garantie gibt es nirgends", sagt Gret gelassen. "Hier, trag mal das Tablett ins Wohnzimmer."
Sie setzen sich in die gemütliche Ecke vor dem Fenster, Gret gießt den Kaffee in die Tassen. "Drei Stück Zucker? Wie immer?", lächelt sie nachsichtig und fügt hinzu: "Sie muss tun, was ihr Herz sagt."
"Solange sie noch eins hat", murrt Andrea. "Ein eigenes."
"Das dauernde Hin und Her ist für beide ja auch ziemlich anstrengend." Gret gießt Kaffee nach. "Und dann ist da noch der nicht zu unterschätzende Aspekt des Geldes. Sie würden Miete, Strom und Telefongebühren einsparen."
"Meine Güte", zweifelt Andrea, "meine Selbstständigkeit ist mir lieber, als alles Geld der Welt. Ich muss auch haushalten. Aber ich kann tun und lassen, was ich will. Und nur das ist mir wichtig."
"Egoistin!"
Manu kommt abgehetzt von der Arbeit.

 "Sorry, es ging nicht früher."
"Na, nun aber los."

 Gret zieht sich ihren Mantel über und schiebt Andrea aus der Wohnungstür.

Der neue Opel steht rot und glänzend halb auf dem Bürgersteig vor dem Haus.
Manu und Andrea setzen sich kichernd nach hinten.
 "Na, habt ihr wieder über mich geklatscht?", fragt Manu fröhlich.
"Und ob. Das alte Lied." Gret gibt Gas. "Das musst du schon ertragen, wenn du dich in so eine unüberlegte Situation begibst, wie Andrea meint."
"Ihr habt gut reden", mault Manu. "Ihr wisst ja gar nicht, wie das ist, wenn man drei Jahre allein ist und endlich zur Ruhe kommen will."
"Immer dreht sich alles nur um die Männer", sagt Andrea genervt. "Gibt es denn kein anderes Thema?"
"Die Abhängigkeit! Ja, ja!" Gret tritt hart auf die Bremse. "Dieser verdammte Mistkerl! Hat mir die Vorfahrt genommen!"
Mittels Fernbedienung kurbelt Gret das Fenster herunter und flucht recht unweiblich dem Mistkerl hinterher, der schon um die nächste Ecke verschwunden ist. Sie hatte gerade noch sehen können, wie der unverschämte Kerl lachend seinen Mittelfinger gezeigt und sich an die Stirn getippt hat.

 "Du mich auch!", schreit sie aus dem offenen Fenster.
"Mann, Gret, krieg dich ein", sagt Manu. "Ich habe jetzt im Internet eine Seite angeklickt, die ist voll von Stinkefingerautofahrern. Da kann man sich online beschweren."
"Und ich habe nun schon drei Wochen intensiv Sport getrieben und nichts abgenommen. Kein Grämmchen. Vielleicht sollte ich mich auch mal beschweren?", mault Gret, während sie wütend Gas gibt.
"Mensch! Gret! Fahr langsamer! Ich nehme auch nicht mehr ab." Manu macht ein zerknirschtes Gesicht. "Ich bin schon völlig deprimiert. Die 90, 60, 90 Püppchen rauben mir noch den letzten Nerv. Überhaupt nervt mich das ganze blöde Fernsehen. Kommt doch nichts Gescheites. Nur noch Talk, Talk, Talk. Und diese Themen. Wir machen uns doch alle zum Klops."

 Sie kramt einen kleinen Spiegel aus ihrer Designerhandtasche, dann einen pinkfarbenen Lippenstift und malt sich gelassen die Lippen nach.
 "Zum Sport brauchst du dich nicht extra zu schminken", murrt Gret. "Und überhaupt. Wo willst du denn noch abnehmen? Es ist doch nichts mehr da."
"Da ist schon noch einiges." Manu quetscht ihr Bauchfleisch zwischen zwei Finger. "Hier zum Beispiel."
"Lass das, Manu", mischt sich Andrea ein. "Gret muss sich konzentrieren."
"Mach ich schon", sagt Gret, die sich wieder beruhigt hat, "keine Sorge. Aber dieses Magerabnehmen ist ja schon krankhaft. Man kann es auch übertreiben. Manu, du hast wirklich eine tolle Figur."
"Du hattest früher auch nicht so viel Busen." Manu bedeckt ihren Magerspeck wieder mit dem T-Shirt.
"Das werden wohl die Vorzeichen der Wechseljahre sein", kichert Gret. "Der Stoffwechsel verlangsamt sich halt. Das habe ich ganz deutlich gemerkt, als wir vierzig Minuten Radfahren mussten. Andrea hat dreihundertdreißig Kalorien verbraucht. Ich nur hundertdreißig. Obwohl ich dreißig Kilometer mehr gefahren bin. Allerdings bei einem geringeren Widerstand, weil es sonst immer piept, wenn der Puls in die Höhe geht. Das ist doch makaber."
"Ja", sagt Manu, "auf den Fotos hast du eine ähnliche Figur, wie ich. Nur mehr Taille."
"Es war einmal. Und nun muss ich mich abquälen."
"Mit einem Mann ginge es schneller." Andrea lacht übermütig. "Als ich noch jeden Tag Sex hatte, war ich schlankischlank."
"Und brauchtest kein Fitnessstudio." Manu zieht den Reißverschluss ihrer Tasche zu. "Dann müsste es aber ein richtiger Draufgänger sein", kichert sie, "damit es was nutzt. Na, dann. Wollen wir mal."

Natürlich finden sie auf Anhieb wieder keinen Parkplatz und Gret fährt, wie schon die vorherige Woche, quer über die Straße, wo sie eine Lücke entdeckt hat.
Leichter Regen nieselt sie unangenehm ein, als sie zur Torstraße eilen. Im Hof der Schule sind sie sich nicht sicher, ob es die richtige Schule ist.
"Seid ihr sicher, dass wir hier richtig sind?" Gret schaut sich unsicher auf dem Schulhof um. "Der Hof sah anders aus", murmelt sie.
"Keine Bange", erwidert Gret. "Wir sind richtig."
"Ich habe aber im Vorbeifahren eine Schule gesehen, die sah genauso aus", sagt Gret, nicht überzeugt.
"Hör auf, Gret. Im Dunkeln sieht alles immer anders aus. Hier können wir auch rein." Andrea zeigt auf die hell erleuchteten Fenster im sechsten Stock. "Die Turnhalle ist da oben." "Hier steht aber Theater 69. Da geht es bestimmt nur zum Theater."
"Mann, Gret. Vielleicht ist da ein Durchgang." Andrea tritt energisch durch die alte, breite Tür. Doch oben angekommen, gibt es nur die Räume des Theaters. Keinen Durchgang.
Enttäuscht laufen sie wieder nach unten. Plötzlich stolpert Gret auf der vorletzten Stufe und stürzt. Hilflos sitzt sie auf der Steinstufe und starrt grinsend in die entsetzten Gesichter ihrer Freundinnen, die rechts und links neben ihr stehen.
 "Ich kann die Beine nicht mehr bewegen", jammert sie. "Bestimmt sind sie gebrochen. Jetzt ist alles aus. Los! Holt den Rettungsdienst! Ich kann nicht mehr auftreten."
"Versuch es doch wenigstens." Andrea packt sie sanft am Arm. "Komm, erhebe dich, du schwacher Geist. Vielleicht geht es doch."
"Na, gut. Aber die Verantwortung habt ihr. Mist! Seht mal. In der verdammten Stufe fehlt ein Stein. Und ausgerechnet in dieses Loch bin ich getreten und mit meinem Stiefelabsatz hängen geblieben."
"Hast du das Loch denn nicht gesehen?" Andrea begutachtet eingehend das Loch, betastet es mit der Hand, als wolle sie es liebkosen. "Ist doch ganz schön groß."
"Von oben sieht man es nicht." Manu kann nicht widerstehen und legt auch ihre Hand in das Loch. "Und außerdem guckt man doch nicht dauernd nach unten."
"Ich schon", sagt Andrea und guckt nach unten.
"Klugscheißer." Manu stößt ihre Nase in die Höhe. "Ich gucke immer nur nach oben."
"Da würde ich ja nur in Hundescheiße treten", sagt Andrea und schüttelt sich bei dieser Vorstellung.
"Na, gehen wir endlich", drängt Gret ungeduldig, "sonst können wir die Gymnastik vergessen. Wir kommen sowieso wieder zu spät. Wir sind die notorischen Zuspätkommer."
"Du willst doch wohl jetzt keinen Sport machen?", zweifelt Manu.
"Mal sehen." Gret humpelt hinter den beiden her, über den großen Schulhof zur gegenüberliegenden Seite. Das Tor ist abgeschlossen. Was nun? Unschlüssig stehen sie dahinter.
"Wir müssen drüber klettern." Andreas Hände liegen schon auf den Zacken. "Sonst wird das nie was."

Eine vermummte Gestalt eilt auf das gegenüberliegende Tor zu. Der dicke Schlüsselbund, den die Gestalt an einer Schnur um ihren Bauch trägt, klappert verräterisch.
 "Kehrt", befiehlt Andrea und nimmt ihre Hände von den Zacken. "Hinterher!"
"Um achtzehn Uhr wird hier abgeschlossen", knurrt die Gestalt, als sie sie endlich eingeholt haben, unfreundlich. "Hier darf doch nich jeder rein."
"Wo ist denn der Eingang zur Turnhalle?" Manu ist mal wieder besonders schleimfreundlich. "Sie wissen doch hier Bescheid?"
"Da müssen Se ums Karree loofen", brummelt die Gestalt.
"Rechts oder links?"
"Das is doch egal. Das nimmt sich nischde." Gleichgültig schließt die Gestalt ihr Tor zu und würdigt Manu keines Blickes mehr.
Der Regen wird heftiger. Grets rechtes Bein immer schwerer. Doch sie hält tapfer mit und schafft sogar, ohne wie sonst, verpusten zu müssen, die sechs Treppen zur Turnhalle in den Fitnessraum und hüpft mit den anderen eine Stunde über das blanke Parkett.
 "Da könnt ihr mal sehen", sagt Manu, "wie fit wir geworden sind."
"Hahha", lacht Andrea, "und das von zwei mal hüpfen. Da kann man wirklich nur staunen."
Sie staunen wirklich. Und sie staunen noch mehr, als Grets Bein dicker und dicker wird. So dick, dass sie ins Krankenhaus eingeliefert werden muss.
"Du siehst ja so gelb aus", kichert Andrea, als sie und Manu Gret im Krankenhaus besuchen.
"Und gar nicht so schön braun, wie sonst", kichert Manu solidarisch. "Und auch deine Haare sind so zerzaust." Schelmisch überreicht sie Gret einige Formulare. "Unterschreib. Dann sind wir offiziell im Sportverein. Und alle drei wieder solo."
"Wieso? Bist du nicht...?"
"Bin nicht." Manu lacht erleichtert. "Hab ihn nach weißen Sand geschickt. Er war doch nicht der Richtige."
"Oh, Gott", seufzt Gret. "Der Postausfahrer war vorhin hier. Meine Nachbarin hat gequasselt. Er hat mir die Rosen geschenkt." Lächelnd schaut sie zu dem weißen Nachttisch neben dem Bett. "So wunderschöne, rote Rosen."
"Verräterin!", zischt Manu empört.
"Seht mal", Gret streckt ihr rechtes Bein in die Höhe. "Das hat Mario gemacht. Ist er nicht süß?!"
Neugierig starren Andrea und Manu auf den weißen Gispsverband. Ein knallrotes Herz, durchstochen mit einem Liebespfeil, leuchtet ihnen provozierend entgegen.
 "Verräterin! Verdammte Verräterin!", empört sich Manu lachend.
"Kindisch", nörgelt Andrea. "Total kitschig."
"Na, dann müssen wir wohl jetzt auch wieder auf Pirsch gehen, was Andrea?" Manu zwinkert Andrea schelmisch zu. "Wir haben uns eine Flasche guten Rotwein mitgebracht." Sie holt die Flasche aus ihrer Tasche, befreit sie von dem bunten Geschenkpapier und stellt sie auf das Nachttischchen. "Einen Öffner habe ich natürlich auch", kichert sie übermütig, "und Becher."
"Sehr nobel. Ich danke euch", sagt Gret lachend. "Da kann ja nichts mehr schief gehen."

Die drei trinken die Flasche leer, erzählen, kichern und werden immer ausgelassener. Zu guter Letzt tanzen Andrea und Manu im Zimmer herum, während Gret übermütig ihr in einem Gestell befestigtes Humpelbein zu schwenken versucht.

"Jetzt müssen Sie aber gehen", sagt die Nachtschwester, die plötzlich in der Tür steht. "Es ist Nachtruhe. Sie Kichertanten."