Die SchamLosen

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Die SchamLosen

 

 

 

 

 

 

 

 

 

„Immer ist dir alles Andere wichtiger als ich!“ Wütend knallte Gabi den Hörer auf die Gabel. Hätte sie nur keinen Weltverbessererdoktor geheiratet. Besaß dieser Kerl doch die Unverschämtheit, ihr telefonisch mitzuteilen, dass er nicht kommen könne, da er in Afrika gebraucht würde. Ganz nah sei er an einem Impfstoff gegen eine sehr heimtückische Krankheit. Es bedürfe nur noch einiger Versuche. Na, schön. Und das einen Tag vor Silvester. Soll er mit seinem Impfstoff feiern.

Gabi beschloss, mit Tom, einem gemeinsamen Freund, Silvester zu feiern. Nicht etwa bei Kollegen oder Freunden so eine Allerweltsfete. Nein, etwas Besonderes sollte es schon sein. Ein vornehmer Schuppen etwa. Mit allem Drum und Dran.
Hand in Hand betraten sie dann den mit Girlanden und bunten Blumen festlich geschmückten Raum. Die meisten Gäste saßen schon auf ihren reservierten Plätzen. Stocksteif saßen sie da. Redeten kaum. Und das in diesem stinkteuren Laden. Das konnte ja heiter werden. Gabi kicherte amüsiert. Hach. Aber, ach, nur kein Aufsehen erregen. Sie setzte eine freundlich ernste Miene auf und schritt mit Tom zu ihren Plätzen an der Stirnseite einer langen Tafel. Teures Porzellan und kostbare Gläser schmückten weiße Damastdecken. Kerzen leuchteten aus wertvollen Leuchtern. Weiße Blümchen lugten zwischen mit Glimmer besprenkelten Tannenzweigen aus winzigen Vasen.
„Hallo“, grüßten sie fröhlich und setzten sich.
„N'n Abend“, murmelten die Leute, blickten kurz auf, wandten sich wieder ihren leeren Tellern zu, warteten stumm auf das Essen.

Tom hatte sich in Schale geschmissen. In Schlips und Kragen sozusagen. Gabi hatte ihr schwarzes Minikostümchen an. Das, das ihr Peter geschenkt hatte. Der Rock war kurz, der Kragen des Blazers mit buntschillernden Pailletten besetzt. Die Weste aus roter Seide.
Die dunklen, langen Haare hatte sie aufgesteckt. Eine silberne Spange hielt die lockige Pracht in Form.
Gabis Beine glänzten silbermatt aus roten High Heels. Na, wenn das nichts war. Tom konnte den Blick nicht von ihr wenden.
„Du siehst zum Anbeißen aus“, flüsterte er und schaute verliebt in ihre Augen.
Das Fünfgängemenü wurde serviert. Wein. Champagner. Und dann wurde getanzt. Nach Lifemusik. Versteht sich. Übermütig legten Tom und Gabi ein Solo aufs Parkett, als hätten sie ihr Lebtag nichts Anderes getan. Die Leute lockte es von ihren Plätzen; sie bildeten einen Kreis um sie, klatschten wie wild im Rhythmus des verrückten ROCK’N ROLL.
Die Musiker bearbeiteten immer euphorischer ihre Instrumente; Gabi spürte immer intensiver ihren geliebten Elvis. Und natürlich Tom. Schon bald war ihr, als schwebte sie in den siebten Himmel hinein. Sie fühlte sich so leicht, so frei, wie schon lange nicht mehr. Tom wirbelte sie bald über sich, bald unter sich. Drehen, Schwenken, Schieben. Werfen. Tanzen. Tanzen. Ja, das war eine Welt, die sie liebte, bei der ihr das Herz aufging.

„Ich habe Durst, Tom“, sagte sie übermütig. „Wo ist der Champagner!“Erschöpft, aber glücklich setzten sie sich auf ihre Plätze. Tranken. Prosteten sich zu. Schauten sich immer tiefer in die Augen.

„Du bist so wunderschön“, flüsterte Tom und küsste Gabi auf den Mund. „Ich bin schon lange in dich verliebt.“
„Das darfst du nicht. Ich liebe Peter.“ „Gabi erwiderte Toms intensiven Kuss. „Und er seinen Impfstoff. Hahaha.“

Mit vollen melodischen Schlägen läuteten Mitternacht die Glocken der nahen Kirche das neue Jahr ein. Die Menschen stürmten nach draußen, ihre Knaller loszuwerden. Nur Tom und Gabi blieben sitzen. Die Menschen gingen sie nichts mehr an. Verliebt saßen sie auf ihren Stühlen und küssten sich. Peter war vergessen. Afrika. Der Impfstoff. Was zählte, war das Jetzt. Und das war wunderschön.
Nach einer halben Stunde füllte sich der Raum allmählich wieder. Die Stimmung erreichte ihren prozentualen Höhepunkt. Alles redete, kreischte, lachte wild durcheinander. Es schien, als hätten Alle nur auf das Neue Jahr gewartet, um endlich mal so richtig aus sich herausgehen zu können.
Plötzlich bemerkte Gabi, dass der Träger ihres Büstenhalters gerissen war.

„Mein BH ist gerissen“, sagte sie lauter als nötig und lachte beschwipst. „Ich geh mal zur Toilette und lege ihn ab.“ Sie hob ihr leeres Glas. „Aber vorher schenk noch mal ein, geliebter Tom.“

Lachend tranken sie die Flasche Champagner leer. Tom bestellte eine neue.

„Und nun muss ich. Eine Brust ist draußen.“ Gabi erhob sich schwankend von ihrem Sitz. „Eine drin.“
„Ich komme mit.“ Auch Tom stand auf. Leicht schwankend. „Ich helfe dir. Ehrensache.“

Die Damentoilette war leer. Die Damen hatten sich wohl schnell noch im alten Jahr entleert. Ihnen war es Recht. Tom zog Gabi schnell in eine Kabine.
Kaum waren sie drin, knöpfte er Gabi die Weste auf, löste geschickt die Häkchen des Büstenhalters, hängte ihn sich um den Hals, raunte, vor Erregung heiser, in ihr Ohr:

„Ich habe große Lust. Du doch auch?“

Ihr Verlangen war so groß wie ihr Übermut. Tom schob Gabis Mini in die Höhe, ihren Slip nach unten und drückte sie über das Becken. Laut aufstöhnend umklammerte sie den Beckenrand, während Tom langsam, dann immer heftiger in sie drang.

„Wie lange habe ich darauf gewartet“, keuchte er. „Jetzt gehörst du mir.“

Er umfasste fest ihre Hüften, zog sie hoch, drückte sie an die Wand, sank zu ihren Füßen, den Kopf zwischen ihren Schenkeln.

Gabi stöhnte; sie zitterte am ganzen Körper, genoss lustvoll Toms leidenschaftliche Liebkosungen und konnte doch nur denken:

„Wie schamlos. Wie schamlos. Verzeih mir, Peter. Bitte, verzeih mir.“

Nach einigen Minuten setzten sie sich, Blick in Blick, wieder auf ihre Plätze, tranken weiter, mischten sich unter die Tanzenden.

„Wirst du es Peter sagen?“ Tom drückte Gabi fest an sich.
„Nein, Tom.“ Gabi blieb stehen. „Es war ein Ausrutscher. Ich war so geil. Peter ist schon so lange weg. Verzeih mir. Aber ich liebe nur ihn.“
„Schade. Dann bring ich dich jetzt nach Hause. Ich bin immer für dich da. Auch für die nächsten Ausrutscher.“

*
Windig und kalt war er. Dieser Januar. Seit Tagen hatte es nicht mehr geschneit. Nur kristallharte Eisflocken wirbelten vereinzelt von einem grau verhangenen Himmel. Die Welt hatte sich in kaltes Schweigen gehüllt. Wie Peter. Und Gabis Herz.
Immer wieder las sie den von ihren Tränen fast durchweichten Brief des Konsulats der Deutschen Botschaft in Afrika: - ... müssen wir Ihnen zu unserem Bedauern leider mitteilen, dass Ihr Mann Peter ... in der Silvesternacht Nacht 2005 bei einem Selbstversuch mit dem von ihm entwickelten Impfstoff ... ums Leben gekommen ist. Wir versichern Sie, dass ...


 

 

 

 

 

 



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