Himmlische Sphaeren

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Himmlische Sphären

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Die Vorstellung verlief anders als sonst. Und auch das Vorher war so sonderbar.
Nachdem ich aus dem Auto gestiegen war, stand ich wie verloren auf dem Parkplatz, starrte in den dunklen Himmel.
Wolken schoben sich düster übereinander; ab und zu leuchtete gespenstisch der Vollmond.
Wie befremdlich er doch heute wirkte, wie bedrohlich.
Ein unheimliches Gefühl beschlich mich, so eine Vorahnung von Eswirdebestimmttwasschreckliches geschehen.

Mehr und mehr verdunkelte sich der Himmel, schon fielen die ersten Regentropfen. Nun aber schnell!
Ich lief über den Parkplatz, fuhr mit dem Fahrstuhl in den fünften Stock. Wie kann ein Theater aber auch im fünften Stock sein. Es war höchste Zeit, hatte schon zum dritten Mal geläutet.
Mein Platz war in der ersten Reihe, leise setzte ich mich, versuchte, mich zu konzentrieren, starrte auf die dunkle Bühne, kannte das Stück ja fast auswendig, wusste, was geschehen würde. Doch das beunruhigende Gefühl verschwand nicht, verstärkte sich eher noch, hielt mich in mir selbst gefangen. Und plötzlich wusste ich: Sandra; die Hexe. Ja, Sandra ist hier. Hier. In mir drin. Diese unmheilschwangeren, rätselhaften, mystischen Gefühle kamen von der Hexe Sandra. Ich hatte ihren Ring mit dem grünen Stein missachtet, ihn nicht ausprobiert, sie nicht mehr besucht. Und nun besuchte sie mich. Ihre Aura erstickte mich. Ihr Geheimnis ertränkte mich. Ich hörte die Stimme der Hexe: "Du bist eine Hexe. Mach das Exempel zur Probe. Setz deine angeborenen Hexenkräfte in die Tat um. Jetzt! Sofort!" Ich musste diesen Einflüsterungen gehorchen, konnte der Versuchung nicht widerstehen. Doch, was würde geschehen, wenn die Hexe Recht hatte? Wenn auch ich eine Hexe war? Was hatte sie gleich gesagt? Als ich neulich zufällig ihren esoterischen Laden betrat? "Hexen riechen sich auf viele Meilen Entfernung." Das Grün ihrer Augen schwamm magisch in meinen. Ich fühlte mich gefangen,wollte fliehen und stand doch wie angewurzelt.
Ach, sei's drum.
Mutig sammelte ich all meine Energie, meine magischen Kräfte, konzentrierte sie auf den einen Gedanken, der mich mehr und mehr beherrschte, war neugierig auf diese unbekannte Erfahrung, das Anonyme, Teuflische, Hexische, das mich nun erwartete. Ja, die Zeit war reif.

"Ich lasse die Vorstellung platzen", dachte ich. "Ich lasse die Vorstellung platzen. Ich lasse die Vorstellung platzen."Nach einiger Zeit war mir, als wäre dieser eine Gedanke das Zentrum, mein Zentrum, um das sich nach einem leeren Raum mein Ich schloss, darum meine fleischliche Hülle. Mit geschlossenen Augen fühlte ich, wie alle äußeren Energien in mich hineinflossen, mein tiefstes, innerstes Ich, meinen Mittelpunkt, den brennenden, roten Kern meines Seins.
Strahlenförmig wurde er eingeschlossen, umzuckt von schwarzen Blitzen, die in ungleichmäßigen Abständen, gleich einem lautlosen Feuerwerk, mein Zentrum umhüllten.

"Ich will, dass es passiert", dachte ich angestrengt wieder und wieder. "Ich will, dass es passiert. Ich lasse die Vorstellung platzen."

Nach geraumer Zeit öffnete ich meine Augen. Alles wie immer. Die Zuschauer saßen still auf ihren Plätzen, die Schauspieler agierten wie bei jeder Vorstellung spielsicher auf der Bühne.

"Nichts da", sagte Sandra, "versuch es noch einmal."

Wieder schloss ich meine Augen, konzentrierte mich mit all meiner geistigen Kraft nochmals auf diesen einen Gedanken, bannte ihn gewaltsam in mein Zentrum, erlebte das Gleiche wie vorher, nur viel intensiver.
Und dann geschah es.

Als es mir an der Zeit schien, öffnete ich die Augen. Mein Herz jubelte. Einige Besucher verließen geräuschvoll den Saal, eine Gruppe Jugendlicher war unruhig geworden, kicherte laut. Und als dann die kurze Nacktszene kam, traute sich die junge Schauspielerin nicht ganz nackt aufzutreten. In dem abgegrenzten Viereck konnte man nur eine entblößte Brust sehen. Der ganz entblößte Schauspieler wurde mir Gejohle empfangen. Das verunsicherte ihn so sehr, dass seine sonst so lockeren Bewegungen linkisch und steif wirkten.

"Es klappt! Es klappt!", schrie ich. "Hexe! Hexe! Hexe!“ Ich klatschte wie wild in die Hände.

Dem jungen Schauspieler verschlug es die Sprache. Entsetzt sah er zu mir hin. Ich sprang auf.

"Still! Ruhe!", zischte es von allen Seiten.

Doch es war zu spät. Einige Zuschauer waren ebenfalls aufgesprungen, schrieen unverständliches Zeug; ein wüstes Durcheinander entstand.
Die Hauptsache fehlte noch. Der Höhepunkt. Die Szene mit dem Schwarzen, der auf der Bühne alles in die Luft sprengen sollte.

Da! Da war sie.

Entrüstet verließen zwei Drittel der Jugendlichen und einige Erwachsene laut schimpfend den dunklen Theatersaal.
Unter den Schauspielern herrschte große Aufregung, doch sie hielten durch; am Ende applaudierte dankbar ein standfestes Häuflein, zu dem auch ich gehörte.
Aber das Wichtigste war: ich wusste nun - ich bin eine Hexe. Ich habe magische Kräfte, ich kann die ganze Welt in den Sack stecken.
Aber natürlich würde ich meine Macht nicht missbrauchen.

"Ich werde nur Gutes tun", schwor ich mir und streckte meine Schwurfinger in die Höhe. "In jeder Vollmondnacht will ich eine Göttin sein, eine Göttin, die ihr delphisches Spiel treibt."

Ja, ich würde den Männern ungeahnte Lust bereiten, ihre Retterin sein, ihre Göttin einer Nacht, sie auf dem Gipfel ihrer Ekstase entschweben lassen, in himmlische Sphären entschweben...
Und dann, ja, dann ...
Sandra. Du Hexe. Du wunderschöne Hexe Sandra...
Überglücklich drehte ich den grünen Ring an meinem kleinen, linken Finger.


*

Von den Männern, die ich beglückte, hat niemals Jemand etwas gesehen oder gehört.
Himmlische himmlische Sphären ...

 

 

 

 

 

 



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