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Ivs große Liebe

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Iv stürzte aus der Kneipe. War sowieso echt schäbig, der Schuppen. Aber etwas Besseres konnte er sich nicht leisten. Das verdammte Almosenharzvier reichte nicht zum Leben und nicht zum Sterben. Da konnte man ja nur noch saufen. Scheißleben. Das.
Iv lachte bitter auf, wischte sich eine selbstmitleidige Träne aus dem Augenwinkel, schwankte die Straße entlang. Die Nacht war dunkel. Keine Sterne blinkten am Himmel. Kein Mond war zu sehen. Keine Straßenlaterne. Keine Menschenseele.
Iv wurde etwas unheimlich zumute, so eine Art Panik erfasste ihn.

Wäre er nur nicht dieser Frau nachgelaufen, dieser Nutte. Diesem Miststück. Verächtlich spuckte er auf die kotige Straße, griff in seine Hosentasche, zerrte ein schmutziges Taschentuch hervor, wischte sich damit angeekelt über den Mund.
Geküsst hatte er die Alte auch noch. Die war doch absichtlich vor ihm hergewackelt, in ihrem superkurzen roten Röckchen, den schwarzen Stöckelschuhen. Wieder lachte er laut auf. Hatte ihn in die Kneipe gelockt. Das Biest, das. An den Tresen. Hin und weg war er gewesen, hatte sie angestarrt, war in ihren dunklen Augen, die ihn an die Augen seiner verstorbenen Mutter erinnerten, versunken, konnte nicht widerstehen, hatte ihren grell rot geschminkten Mund geküsst. Natürlich, nachdem er ihr so einiges Alkoholische spendiert hatte. Hahahaha. Bezahlen konnte er natürlich nicht. Er hatte dem Wirt das Futter seiner leeren Taschen präsentiert, der Wirt ihn vom Hocker gezerrt, wütend zur Tür hinaus gestoßen.

„Verdammte Scheiße!“

Iv bog um die nächste Ecke. Da sah er etwas leuchten. Schnell lief er weiter, gelangte auf eine Wiese vor einem großen Miethaus, das von einer alten Laterne an der Ecke schwach angestrahlt wurde. Und mitten auf der Wiese stand ein seltsames Gebilde.

„Ick glowe, ick spinne“, lallte Iv. „Wo kommst du denn her? So mitten in de Nacht.“ Iv starrte verwundert auf das seltsame Ding, das aus drei zusammen gebundenen Stäben bestand und auf dem ganz oben ein Blumentopf saß. „Ick glowe, du bist een Blumenständer“, murmelte er. „Un so wunnerscheen.“ Er betrachtete das Gestell von allen Seiten, strich zärtlich über die glatten Stäbe, küsste den Blumentopf. „Vill scheener als wie die Olle. Dir nehme icke mit nach Hause."

Iv klemmte sich das Ding unter den Arm, torkelte, leise vor sich hin summend, weiter.

„So wunnerscheen. So wunnerscheen.“

Er wohnte nur einige Häuserblocks entfernt, stieg die Treppen zu seiner Wohnung hinauf, fand nach einigem Suchen in seiner Jackentasche den richtigen Schlüssel, schloss die Tür auf.

"So, mein Schmuckstück", murmelte er, stolperte, hielt sich an dem Gestell fest, konnte sich noch fangen. „Du hast mir jerettet. Dafür bekommst du auch den besten Platz.“ Zwischen seinem Bett und dem gardinenlosen Fenster stellte Iv den Blumenständer ab. „Hier hast du einen scheenen Ausblick.“

Mit sich und der Welt im Einklang, setzte sich Iv auf sein Bett, erfreute sich noch einige Zeit an dem Anblick des Blumenständers, schlief endlich ein.
Als er am späten Nachmittag erwachte, galt ihm sein erster Blick.

„Du bist noch da, meen Schmuckstück“, sagte er. „Mann, habe ick een Durst.“

Mühsam wühlte sich er sich aus dem Bett, kroch auf allen Vieren in die Küche, öffnete die Kühlschranktür, fand in der hintersten Ecke eine Plastikflasche Bier aus dem Penni.

„Det is eener der schönsten Ojenblicke in mein Leben“, freute er sich, „wenn man mit sein Kater in Clinch is, es eenem so miserabel jeht, un man denn so een hübschet, kaltet Bierchen in leeren Kühlschrank findet, ist det een vollkommen glückseliger Höhepunkt.“

Iv nahm sein Bierchen, setzte sich wieder auf seine Lagerstatt, betrachtete verliebt das Blumentopfgestell, trank gierig, schlief wieder ein.

Drei Tage später.

Es war wieder Mittag. Und Iv lag wieder im Bett. Ungestümes Klopfen schreckte ihn aus dem Schlaf. Mühsam setzte er sich auf. Was hatte das wohl zu bedeuten.
Das Klopfen wurde ungehaltener. Dann war es still. Doch nur einen Moment. Dann machte sich jemand an dem Türschloss zu schaffen. Iv konnte es ganz deutlich hören. Und auch zwei Männerstimmen.
Wer und was es auch sein mag, dachte er, es würde schon wieder aufhören. Er öffnete nur ungern seine Tür, besonders, wenn er im Bett lag.
Iv legte sich wieder hin, zog die blaurotkarierte Decke über seinen Kopf
Der Lärm wurde immer aufdringlicher.

„Himmelherrgottchennochmal!“

Iv kroch aus dem Bett. Na, gut. Er würde jetzt der Sache auf den Grund gehen; er zog den weißlichgrauen Bademantel, der wie eine Fußmatte vor dem Bett lag, über, lief die wenigen Schritte zu Tür, schloss sie auf.
Im selben Moment stürmte ein Riesenkerl in das Zimmer.

„Da ist er!! Da ist er!“ Der Kerl fuchtelte wild mit den Armen, stieß mit einem Finger in die Ecke am Fenster. „Da ist er! Da ist er!“

Der zweite Mann betrat nun auch die Wohnung, schloss leise die Tür hinter sich.

„Guten Tag“, grüßte er höflich und sprach sofort weiter: „Sie sind verdächtig, diesen Blumenständer gestohlen zu haben.“ Er sah Iv, der völlig verdattert in seinem verschlissenen Bademantel in der Mitte des Zimmers stand, strafend an. „Haben Sie etwas dazu zu sagen?“

Iv wusste nicht, was er von dem Überfall halten sollte. Er hatte auch nichts zu sagen; er holte sich erstmal eine zerknitterte Zigarette aus seiner Bademanteltasche, bat die Beamten um Feuer, begann zu rauchen.

„Sie wurden beobachtet“, sagte der zuletzt eingetretene Zivilbeamte. „Ziehen Sie sich etwas über und kommen Sie mit.“

Auf dem Polizeirevier erzählte Iv zum wiederholten Male seine Story.

“Sie hören von uns.“ Iv konnte gehen.

Wochen später fand er eine Vorladung in seinem Briefkasten. Betreff: Gerichtsverhandlung.
Missmutig, unrasiert, in Klamotten, die einer Gerichtsverhandlung nicht gerade würdig waren, saß er auf der Anklagebank.
Neben dem Richter saßen die Schöffinnen. Einen Staatsanwalt gab es nicht. Auch keinen Verteidiger. Der Staatsanwalt vertrat wohl beide.
Und die angekündigte Zeugin gibt es wohl auch nicht. Iv kicherte. Jedenfalls war nirgends eine zu erblicken.

„Ist die Zeugin endlich eingetroffen?“ Der Richter schaute den Gerichtsdiener ungeduldig an.
„Nein. Leider noch nicht.“

Die alte Ziege sitzt bestimmt immer noch an ihrem Fenster. Iv grinste vor sich hin. Auf die können die lange warten.
Der Richter wartete noch ein Weilchen, raschelte dann mit den Akten, wandte sich zu Iv:

„Ihre Personalien, bitte.“
„Die kennen Se doch.“
„Ich will sie aber von Ihnen bestätigt haben.“

Iv schwieg verbockt.

„Gut. Dann erzählen Sie uns bitte etwas über Ihren Werdegang. Und Ihre derzeitige Situation.“

Ivs Gesichtszüge erstarrten. Seinen Werdegang? Seine derzeitige Situation?
Was geht das den Richter an. Und was hat das mit dem Blumenständer zu tun.
Iv schwieg hartnäckig.

„Gut.“ Die Stimme des Richters wurde eine Nuance schärfer. „Dann erzählen Sie uns jetzt bitte den Tathergang.“
„Na, jut, Herr Richter, den könnese haben. Obwohl icke den och schon so oft erzählt hawe.“
„Ich brauche ihn aber noch mal. Bitte berichten Sie. Aber wahrheitsgemäß. Sie dürfen nicht lügen, und nichts verschweigen. Ich kann Sie auch vereidigen lassen.“
„Schon jut, Herr Richter.“ Iv setzte sich gerade hin. „Ick kam jerade aus de Kneibe an ne Ecke un war stockbesoffen. Uff emal fand ick mir uff de Wiese wieder. Da vor det Hochhaus. Un was erblicken meine entzündeten Ogen? Det Blumenjestell. Det wunnerscheene. Mit dem Blumentopp obendruff. Ja. Un dann hab ick det Ding mitjehen lassen. Det wollte zu mir. So war det nämlich, Herr Richter. Un det is de volle Wahrheit. So wahr ick hier steh. Herr Richter von Jottes Gnaden.“
„Gut.“ Der Richter schloss die Mappe mit den Unterlagen. „Da die Zeugin nicht erschienen ist, spreche ich hiermit den Angeklagten aus Mangel an Beweisen frei. Die Kosten trägt die Staatskasse. Und Sie“, er wandte sich an Iv, „bringen den Blumenständer bitte wieder dahin, woher Sie ihn genommen haben. Verstanden?“
„Ja, Herr Richter.“
„Die Sitzung ist geschlossen.“

Natürlich dachte Iv nicht daran, den Blumenständer, sein Schmuckstück, wieder zurück zu bringen. Stattdessen kaufte er sich eine schöne Rankepflanze mit dunkel - und hellgrünen Blättern; er pflegte und hegte sie und erfreute sich täglich an ihrem Gedeihen, behandelte sie wie eine Geliebte, versprach ihr den Himmel auf Erden, goss, nährte und streichelte sie.

Drei Monate später.

„Du hast eenen jans neuen Menschen aus mir jemacht.“ Liebevoll streichelte Iv die Leben strotzenden Blätter der Pflanze. „Nur wejen dir hab ick mir so verännert", flüsterte er und hauchte einen Kuss über die zahlreichen, wunderschönen, gelben Blüten. "Un de Arbeit bei de Müllabfuhr is ooch nich die schlechteste. Un ick trinke ooch nicht mehr so ville. Ick will mir ja nich vor dir schämen müssen. Meene Liebste.“

 

 

 

 



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